Die Wahl der Reifen hat sich im Cross Country in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Breiten zwischen 1.9 und 2.1 Zoll waren üblich, die Karkassen dünn und leicht. Mit den hohen Ansprüchen an Rollwiderstand, Gripp, Stabilität und Dämpfung werden heuer Reifenbreiten gefahren, wie man sie erst noch im Downhill verwendete.
Schlammreifen waren gestern
Es regnet wie aus Kübeln und die Rennstrecke an den Cross-Country-Schweizermeisterschaften im Jahr 2000 verwandelt sich in ein regelrechtes Schlammbad. Die Reifenwahl: 1.5 Zoll breite Schlammreifen mit hohem, offenem Spike-Profil. Abgesehen davon, dass die Laufradgrösse 26 Zoll im Rennsport schon lange ausgestorben ist, sind auch solche Reifendimensionen im Cross Country heute undenkbar.
Werden für Schlammrennen Reifen aufgezogen, kommen meist die gleichen Profile zum Einsatz, wie auch sonst wenn etwas mehr Halt benötigt wird. Die Dimensionen liegen dann, je nach Hersteller und Gusto, zwischen 2.0 und 2.25 Zoll.
Die Ansprüche an Traktion, Rollwiderstand und Dämpfung sind derart hoch geworden, dass schmale Reifen mit extremen Profilen nicht mehr mithalten können. Mit ein Grund ist aber auch, dass extreme Rennen mit viel Wiesenanteil selten geworden sind – die meisten Cross-Country-Strecken sind wetterfester als damals.
Doch auch hier gilt, keine Regel ohne Ausnahme. Im Short-Track-Rennen beim Weltcup im italienischen Val di Sole setzte Mathias Flückiger auf den zusätzlichen Gripp von Reifen mit Spike-Profil in 29x2.00 Zoll. Der Regen hatte zuvor die Strecke in eine schmierige Matscharena verwandelt. Bei solchen Bedingungen gilt generell, dass schmalere Reifen besseren Halt bieten als breite. Letztere neigen bei Schlamm leicht aufzuschwimmen.
Warum breit?
Im Downhill hatten sich Reifen um 2.5 Zoll früh etabliert und gelten bis heute als Standard. Sie bieten besseren Gripp und mehr Dämpfung. Mit dem Aufkommen von Plusreifen (2.8/3.0 Zoll) an Trail- bis Enduro-Bikes begann auch das Umdenken im Cross-Country-Rennsport. Inspiriert vom «Breitenwahn» wurden so plötzlich breitere Reifen gefahren, wo leicht und schmal noch sehr lange als schneller galt.
Die Olympischen Spiele 2016 waren für den Schweizer Radverband Swiss Cycling der Antrieb für umfassende Reifentests. Grob zusammengefasst zeigten diese auf, dass der Rollwiderstand von breiteren Reifen auf breiten Felgen geringer ist, als mit herkömmlichen Reifen- und Felgedimensionen. Die Vorzüge daraus waren zudem grösser, als die Gewichtsreduktion beim Einsatz von schmaleren Reifen.
Im Cross Country sind Felgen- und Reifenbreiten derart angewachsen, dass sie sich heute nur noch wenig von denen im Downhill unterscheiden. Ist Nino Schurter vormals mit 2.25 Zoll Reifen gefahren, rollt er heute mit 2.4ern von Erfolg zu Erfolg. Kurt Gross, Lars Forsters Mechaniker bei Scott-Sram verrät dazu: «Auch der Luftdruck ist deutlich gesunken. Wurden an Hinter- und Vorderrad vormals 1.5 und 1.4 Bar gefahren, befüllen wir die 2.4-Zoll-Reifen noch mit 1.25 und 1.15 Bar. Wir erzielen dabei erst noch weniger Rollwiderstand und die Fahrer ermüden weniger schnell.»
Zum Breitenvergleich: Die 2.4 Zoll breiten Maxxis-Reifen, wie sie von den Athleten des Scott-Sram-Teams gefahren werden, messen je nach Luftdruck zwischen 60 und 61 Millimeter. Ein Downhill-Reifen in 2.5 Zoll vom gleichen Hersteller auf gleicher Felgenbreite misst etwas über 62 Millimeter Breite.
Der tiefe Griff in die Allmountain-Schublade
Der Trend zu breiten Reifen war aber nicht das einzige, das von Allmountain-Bikes abgeschaut wurde. Breitere Reifen benötigen auch eine breitere Abstützung, da diese in extremeren Schräglagen sonst abkippen – das sogenannte Burping – oder zu rund bauen, dass das Profil an Wirkung verlieren würde. Jedoch fielen Cross-Country-Felgen jeweils zu schmal aus, um die Dickerchen ausreichend abzustützen. So wurde zu Beginn dieses Trends kurzerhand zu breiteren Allmountain-Felgen gegriffen und das Mehrgewicht in Kauf genommen.
Anfänglich waren Felgen mit 25 Millimeter Maulweite gebräuchlich. Einige Fahrer setzten aber früh auf solche mit 30 Millimeter Innenweite. Darauf sind die Reifen bei druckintensiven Kurvenfahrten noch besser abgestützt und lassen sich mit weniger Luftdruck fahren.
Mittlerweise sind fast alle Weltcup-Fahrer, welche über die materiellen Möglichkeiten verfügen, auf 30 Millimeter Felgen unterwegs.
Auch bei den Reifenkarkassen ging der Griff in die Allmountain-Schublade. Wurden einst aus Gewichtsgründen Reifen mit dünnen Karkasen verwendet, setzt man heute auch auf dickere Mäntel: Zum Beispiel Snake Skin bei Schwalbe und EXO bei Maxxis. Sie bieten mehr Stabilität aber auch einen höheren Pannenschutz.
Gebräuchlich sind zudem Karkassen mit 120 Tpi (Threads per inch). Ihr Vorteil gegenüber Reifen mit 60 Tpi: Sie sind dank dünneren Fäden und dichterer Webung flexibler und erzeugen weniger Reibung beim abrollen. Maxxis ging bereits einen Schritt weiter. Ihre neuen Cross-Country-Karkassen verfügen über 170 Tpi. Sie bieten bessere Rollwiderstandswerte und sind erst noch robuster.
Noch nicht alle Hersteller bereit für breit – die Fahrer aber schon
Einige Fahrer sind aber noch nicht auf dem heutigen Optimum unterwegs. Nicola Rohrbach zum Beispiel gesteht: Meine Reifen sind noch nicht auf 30-Millimeter-Felgen zugeschnitten, auf die Vorzüge der breiteren Abstützung will ich aber trotzdem nicht verzichten.»
Die 2.2 Zoll breiten Chaoyang-Reifen bepumpt er mit 1.4 Bar hinten und 1.3 Bar vorne. Bei ruppigen Strecken verwendet er zusätzlich Reifeninserts als Pannenschutz. Ergänzend verrät Rohrbach, dass sein Reifensponsor mit Hochdruck an neuen Reifen arbeite, die auf die breiten Felgen abgestimmt sind.
Ähnlich ist bei den Reifen von Schwalbe. Die aktuell breitesten Versionen der 29 Zoll Cross-Country-Modelle sind 2.25-Zoll breit. «Die einen fahren sie gerne auf den 30er Felgen, Mathias Flückiger zum Beispiel nicht. Er kombiniert sie aktuell lieber mit 25 Millimeter breiten Felgen, da ihm die Fahreigenschaften so besser taugen», sagt Thömus-RN-Team-Besitzer Ralph Näf. Aber auch bei Schwalbe sollen bald breitere Varianten für den Cross-Country-Einsatz kommen.
Im BMC-Rennstall fahren die Athleten ebenfalls auf Felgen mit 25-Millimetern Maulweite. Dabei unterscheiden sie sich aber in der Reifenwahl. Chefmechaniker Sylvain Gollay sagt, dass Titouan Carod und Julie Bresset noch eher traditionell mit 2.1 Zoll breiten Vittoria-Reifen unterwegs sind. Gerade Carod schätze die leichtere Beschleunigung der schmaleren Reifen.
Währenddessen fahren Lukas Flückiger und Reto Indergand mit 2.25-Zoll-Reifen. Sie schöpfen zwar die aktuellen Möglichkeiten ihrer Team-Sponsoren Vittoria und Cyp-Wheels dimensionstechnisch nicht vollständig aus, haben in dieser Kombination aber ihr Optimum gefunden. Der Unterschied zu Carods 2.1-Zoll-Setup mit nachgemessenen 54 Millimetern Breite, beträgt etwas über drei Millimeter, was schon ein deutlicher Unterschied darstellt.
In ähnlichen Dimensionsbereichen liegen auch die Continental-Reifen des Superior-XC-Teams, dem Linda Indergand und Fabian Giger angehören. Auch hier wird auf die Resultate von Rollwiderstandstests vertraut, verrät Mechaniker und Team-Mitbesitzer Fabian Haug. Die gebräuchlichsten Profile «RaceKing» für trockene bis mittlere und «CrossKing» für nasse Bedingungen werden in 2.2 Zoll Breite gefahren.
Das Team setzt zudem auf 30 Millimeter breite Felgen, erklärt Haug und fügt an: «Bei Tests haben unsere Fahrer den Unterschied zu den 25 Millimeter Felgen deutlich gespürt. Das Überrollverhalten ist besser und auch Burping passiert weniger.»
Florian Vogel dreht mit Prototypen-Felgen von Mavic seine schnellen Runden. «Diese verfügen neu auch über 30 Millimeter Innenweite. Das ermöglicht mir einen tieferen Luftdruck bei gleicher Mantelspannung zu fahren», holt der frischgebackene EM-Medaillengewinner aus. Die breiten Felgen hätten klare Vorteile, erklärt Vogel weiter: «Beim Weltcup in Andorra verlor ich Luft und musste mit 0.8 Bar im Reifen zur Wechselzone fahren. Trotz des zu niedrigen Luftdrucks hatte ich den Reifen nicht von der Felge gedrückt.»
Reifen und Felge sind ein System
Die Hersteller sind nun damit beschäftigt, auf die breiteren Felgen passende Reifen zu schneidern, wie nochmals im Beispiel von Maxxis. «Die Form der neuen Reifenmodelle hat Maxxis der Felgenform der XRC-Felge von DT Swiss angepasst. Das ist der Idealfall, denn Felge und Reifen gilt es als System zu verstehen», verrät Scott-Sram-Mechaniker Yanik Gyger.
Bei der Entwicklung sind aber auch die Felgenhersteller gefordert. Möglichst leichte Felgen zu produzieren, die auch lateral steif genug sind, reicht nicht mehr aus. Sie müssen robust genug sein, um Durchschläge unbeschadet zu überstehen. Gleichzeitig wird von ihnen aber auch hohe Dämpfungseigenschaften erwartet, dass möglichst wenige Vibrationen auf den Körper einwirken.
Dass der Trend demnächst zu noch breiteren Reifen geht, ist nicht wohl nicht zu erwarten. Doch es geht wieder auf das Olympiajahr zu und da wird wieder getestet was das Zeug hält – auch weiter in Sachen Rollwiderstand. Zu entwickeln und optimieren gibt es bei der Bereifung also noch genug.